10 July, 2007

Was es heißt, schwarz zu sein

aus: langeleine vom 27. Juni 2007/ Copyright Text und Fotos: Barbara Mürdter

Über den allgegenwärtigen Rassismus: Ein Gespräch mit Frank Castorf und seinen brasilianischen Schauspielern, die das in dem südamerikanischen Land inszenierte Stück “Schwarzer Engel” nun als Gastspiel in Berlin zeigen

In keinem anderen Land der Welt sind die Rassen so vermischt wie in Brasilien. Nach der späten Abschaffung der Sklaverei (1888) gab es nie eine offizielle Segregation. Stefan Zweig schwärmte Mitte des 20. Jahrhunderts: “Es ist rührend, schon die Kinder, die alle Schattierungen der menschlichen Hautfarbe abwandeln – Schokolade, Milch und Kaffee – Arm in Arm von der Schule kommen zu sehen.” Doch was öffentlich nicht benannt werden darf, als beschämend und unhöflich gilt, zeigt sich in Statistiken und Alltagserfahrungen: Brasilianer mit afrikanischen Vorfahren haben die schlechteren Karten im Leben - aufgrund von mangelnden Bildungschancen, einer höheren Gewaltrate aber auch von Vorurteilen, die bereits in der Kindergarten-Erziehung angelegt sind, weil die Erzieherinnen und Lehrerinnen mit weißen Kindern anders umgehen als mit schwarzen. Das Bitterste: Auch die Afro-Brasilianer selbst haben diese Negativ-Klischees verinnerlicht.

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Ismael quält seine Frau aus Hass auf die eigene Hautfarbe - Szenenbild aus Frank Castorfs “Schwarzer Engel”

Parabel auf die Rassenproblematik

Der schwarze Selbsthass und die dahinterliegende Rassenproblematik wurden bereits 1946 von dem populären brasilianischen Schriftsteller Nelson Rodrigues in dem Stück “Schwarzer Engel” aufgegriffen. In seiner Parabel auf das Rassenverhältnis in seinem Land beschreibt er einen schwarzen Arzt, der voll von Selbsthass und in dem Begehren, weißer zu werden, eine weiße Frau vergewaltigt. Er heiratet sie, und die Frau bringt ihrerseits in ihrem Hass ihre halbschwarzen Söhne regelmäßig um. Die Figuren sind in einem Kreislauf gegenseitiger Abhängigkeiten verstrickt.

Frank Castorf griff die brisante Vorlage auf und wurde für eine Inszenierung in Sao Paulo engagiert, nachdem er dort sein “Dickicht der Städte” aufgeführt hatte. Zu seiner Entstehungszeit sei der Stoff skandalös gewesen, voller Tabus, sagt Castorf. Nicht nur wegen der sexuell-pornografischen Seite des Stücks und dem offensiven Umgang mit der Rassenproblematik, sondern auch, weil der Hauptdarsteller ein Schwarzer war: “Damals musste der dann von einem weißen Schauspieler, der schwarz geschminkt war, gespielt werden.” Weil ihm Rodrigues’ Stück aber zu nihilistisch gewesen sei, ergänzte Castorf es mit Versatzstücken aus Heiner Müllers “Der Auftrag” - einem Stück über den gescheiterten Versuch des Exports der französischen Revolution nach Haiti. Er wolle damit zeigen, dass “manche Menschen in bestimmten Situation die Welt verändern können.”

Ein brasilianischer Autor, ein deutscher Autor und das Thema Rassismus

Der Autor Nelson Rodrigues ist ein Säulenheiler der brasilianischen Kultur, fast schon ein bisschen langweilig für die Einheimischen. Eine Schauspielerin sagt: “Uns hat Castorfs subversiver Umgang mit dem Rodrigues-Text fasziniert. Das Sich-in-den-Anderen-Einfühlen, um ihn zu verstehen, kommt im Original nicht vor.” Die Schauspieler seien wiederum von dem in Brasilien weitgehend unbekannten Müller und seiner Beschäftigung mit dem Aufstand in Haiti angetan gewesen, da sie sich inhaltlich identifizieren konnten, wenn da ein Schwarzer zum Beispiel sagt: “Ich habe gesagt: Sklaven haben keine Heimat. Das stimmt nicht. Die Heimat der Sklaven ist der Aufstand.” Und im weiteren Monolog den Begriff des Sklaven auf eine Ebene jenseits der Rasse auf die der Ausgebeuten hebt.

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“Ob man sich als afro-brasilianisch bezeichnet, ist eine politische Entscheidung”: Eine junge Schauspielerin aus Castorfs Team überprüft ihr Aussehen

Dass das Thema Rassismus, das Castorf hier auf einer abstrakt-ästhetischen Ebene verhandelt, in der brasilianischen Gesellschaft hochaktuell ist, meinen sowohl Castorf als auch seine brasilianischen Schauspieler. “Rassismus ist in Brasilien viel gegenwärtiger, als es das offizielle intellektuelle Brasilien wahrhaben will”, sagt der Regisseur. Momentan gäbe es eine hitzige Diskussion um Quoten für schwarze Studenten an Universitäten. Derzeit sind nur 4% der Studierenden Afro-Brasilianer, bei einem Bevölkerungsanteil von fast 50%. Weiter berichtet Castorf: “Während Sao Paulo noch recht aufgeklärt ist, muss man nur mal nach Salvador gehen - da sind die Lebensbedingungen nicht anders als in manchen Gegenden Afrikas. Es besteht eine extreme Ungleichheit. Man merkt da die extreme Wichtigkeit, wenn man sagt, lass uns doch zusammenschließen und mal etwas Anderes machen.”

“Im brasilianischen Theaterwesen findet man selten so viele Schwarze auf der Bühne”

Als Castorf junge schwarze Schauspieler suchte, wurde er an der Universität von Sao Paulo fündig. Er führte Gespräche mit mehreren Studenten und traf auf die schwarze Theatergruppe “Filhos de Olodum”. “Das war das erste Mal, dass sie so eine afro-brasilianische Gruppe gegründet und offen ausgedrückt haben, dass sie andere Interessen haben als die anderen,” erzählt Castorf. Gal Quaresma, Mitglied der Gruppe, berichtet: “Wir haben uns zusammengesetzt und diskutiert, was es heißt, schwarz zu sein, worüber wir als afro-brasilianische Schauspieler speziell sprechen wollen, wie wir als Schauspieler sein wollen. Und wie wir der Tatsache begegnen, dass es als Schwarzer schwerer ist, als Schauspieler zu leben.” Die politische Einstellung zum Thema Rassismus war ein Punkt, der Castorf, welcher überlegt hatte mit Profis zu arbeiten, überzeugte, die Schauspielstudenten zu engagieren.

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Castorf besetzt “weiße” Rollen schwarz und umgekehrt

Auch heute noch “findet man es selten im Theaterwesen Brasiliens, dass so viele schwarze Schauspieler auf der Bühne sind”, meint Castorf in Anbetracht seiner Inszenierung. Die schwarze Schauspielerin und Sängerin Denise Assunção hat Castorf für die Hauptrolle der weißen Virgínia bewusst “falsch” besetzt - so wie umgekehrt die schwarze Hauptperson Ismael von einem Weißen gespielt wird. Denise Assunção bestätigt den Eindruck, dass in den brasilianischen Medien allgemein Weiße überproportional repräsentiert würden und Schwarze zumeist nur in Klischee-Rollen zu sehen seien. Sie fügt hinzu: “Es wird langsam etwas besser.” Assunção steht seit Ende der 60er-Jahre auf der Bühne. Sie muss aber bis heute wegen ihres Äußeren, das nicht mit den gängigen Schönheitsidealen von (weißer) Weiblichkeit übereinstimmt, häufig andere Jobs annehmen, um zu überleben: “Wenn man schwarz ist und zudem eine breite Nase und dicke Lippen hat, gilt das als unweiblich.” Selten hat sie Glück, dass ein Regisseur sie gerade wegen des “anderen” Aussehens engagiert.

“Ein Lachen über die eigenen Schmerzen”

In Brasilien hat das Bühnenstück “Anjo Negro”, wie “Schwarzer Engel” im Original heißt, obwohl es so schmerzhaft und brutal ist, bei den Zuschauern zum Teil eine gewisse Heiterkeit erregt: “Das war eher ein Lachen aus Unbehagen, mit Dingen konfrontiert zu werden, die man verdrängt. Und auch ein Lachen über die eigenen Schmerzen - ein Freimachen davon. Und weil es keine Rassenreinheit in Brasilien gibt, ist jeder irgendwie ein wenig selbst betroffen und darf auch lachen,” meinen die Schauspieler. Jüngst beim Festival Theaterformen in Hannover zu Gast, ist Frank Castorfs “Schwarzer Engel” heute und morgen im Rahmen der Brasilianischen Woche an der Volksbühne Berlin zu sehen.


Audio:

Interview mit Frank Castorf zu "Angelo Negro" ("mp3)


Weiterlesen:
Interview mit Castorf in der Welt
Kritik an Castorfs Inszenierung bei ostblog.de
Rezension auf Nachtkritik
Rezension in der taz

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