30 August, 2007

"Wir sind kein neutrales Museum"

eine kürzere Version dieses Artikels ist in der taz vom 30.8.07 zu finden

Von Barbara Mürdter

Ein neues Museum in Liverpool erinnert an die Transatlantische Sklaverei und ihre Folgen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem Widerstand, den die Sklaven und ihre Nachfahren gegen ihre Unterdrückung leisteten und ihrem kulturellen Erbe

Im dunklen Oval ist der Betrachter von vier großen Bildschirmen umgeben. Darauf ist ein schwarzer Mann zusehen. Er liegt nackt in Ketten auf schaukelnden, knirschenden Schiffsplanken. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt, er stöhnt leise, übergibt sich. Diese Installation mit künstlerisch verfremdeten Blick ist der Versuch einer Annäherung an eines der schlimmsten Verbrechen der jüngeren Menschheitsgeschichte. Sie ist vergleichsweise harmlos gegenüber dem Undarstellbaren, was wirklich geschah und überlässt viel der Fantasie. „Es ist unmöglich heute wirklich nachzuempfinden, was damals auf den Sklavenschiffen geschah,“ sagt Richard Benjamin, Direktor des neu eröffneten International Slavery Museums in Liverpool über das Herzstück der Ausstellung.


Das neue Museum ist ein Renommierstück mit einem Gesamtetat von etwa fünfzehn Millionen Euro, was sich Großbritannien anlässlich des 200. Jahrestags der gesetzlichen Abschaffung des Sklavenhandels in Großbritannien leistet. Das politische und kulturelle Establishment, inklusive Queen, Anglikanischer Kirche und politischer Prominenz, würdigt den Anlass das ganze Jahr über mit Festakten und Veranstaltungen. Jedes Museum, das etwas auf sich hält, kramte in seinem Fundus etwas aus, das zum Thema passte oder gab eigene Ausstellungen - wenn oft auch nur kleine - in Auftrag. Im Mittelpunkt stehen vielfach prominente Sklavereigegner, allen voran William Wilberforce, der das Gesetz im Parlament durchkämpfte. Man klopft sich selbst auf die Schulter für die Leistungen derjenigen Landsleute, die, zumeist aus christlich-moralischen Motiven, die Grausamkeit der Sklaverei ablehnten und gegen sie aktiv wurden. Zudem feierte man ein historisches Ereignis – es ist ja alles schon 200 Jahre her und lange vorbei.

Die Nachfahren der Sklaven und die Menschen in den vom Sklavenhandel verwüsteten Regionen Westafrikas sehen das allerdings anders. Nicht nur dass sie die von den meisten Weißen als Unfug betrachteten Diskussionen um eine offizielle Entschuldigung des britischen Staatsoberhaupts und gar Wiedergutmachung wieder anfingen. Sie stellten auch die Frage: Ist das nicht eine verkehrte Welt, in der sich das Volk der Täter und Profiteure als Befreier der armen Sklaven stilisieren? Sie legten Wert auf den vor allem von schwarzen Historikern in den letzten Jahren untermauerten Fakt, dass die Sklaven nicht einfach passive Opfer waren, sondern trotz der unwürdigen Umstände und ihres geringen Handlungsspielraums aktiv für ihre eigene Befreiung gekämpft haben.


Diese Sichtweise bestimmte auch die Konzeption der Ausstellung – und das ist neu. Sie beginnt mit der Verpflichtung: „Wir werden uns erinnern.“ Das ist die Antwort auf die Aussage des ehemaligen Sklaven William Prescott, die am Anfang der Museumstour steht: „Sie werden sich daran erinnern, dass wir verkauft wurden, aber nicht daran, dass wir stark waren. Sie werden sich daran erinnern, dass wir gekauft wurden, aber nicht daran, dass wir mutig waren.“

Im ersten Teil wird die Reichhaltigkeit der Kultur in Westafrika vor und zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels dargestellt. Vitrinen mit Produkten der Handwerkskunst, aber auch Verweise auf das intellektuelle Leben - vor allem unter dem Einfluss des Islam - sind um den Nachbau einer Hütte des Ibo-Stammes geschart.

Der zweite Raum, in dessen Mitte die Installation der Schiffspassage steht, beschäftigt sich mit der Zeit der Versklavung und ist das Kernstück der Ausstellung. Das Leben auf den Plantagen wird in zeitgenössischen Bildern und Modellen gezeigt. Schaukästen sind mit Artefakten gefüllt, die den Reichtum symbolisieren, die die Händler und Sklavenhalter anhäuften. Auf der anderen Seite stehen die Folgen, den der Menschenraub für Wirtschaft und Kultur in Westafrika hatte. Auf Karten werden nüchterne Zahlen von Transportquantitäten und Umsätzen genannt. Im Ohr immer der stöhnende Mann auf den Planken und die klagende Rezitation eines Textes über das Los der Verschleppung.


Auch hier wird der Sklave als aktiv Handelnder beschrieben, der Freiheit erkämpft, wo er kann – auch wenn man sich damit dem Vorwurf der Romantisierung aussetzt, so Benjamin: „Der Grundtenor unserer Ausstellung ist der Widerstand.“ In dem man ein Ölbild aus dem 19. Jahrhundert ausstellt, auf dem ein entflohener Sklave mit der Axt gegen Hunde kämpft, die auf ihn gehetzt wurden, bricht man mit der rassistischen Vorstellung, dass der schwarze Sklave sich nicht selbst wehren konnte. Ein wurde wichtiger Diskussionspunkt in der gegenwärtigen Debatte wurde aber völlig ausgespart: die Rolle schwarzer Stammesfürsten, die ihre eigenen Landsleute gegen europäische Waren eintauschten. Dabei hätte man denjenigen, die damit die europäische Schuld an diesem Verbrechen relativieren wollen, mit einer geschichtlich korrekten Darstellung durchaus den Wind aus den Segeln nehmen können.


Der dritte Raum befasst sich mit dem Erbe der Sklaverei. Das ist der mutigste Teil der Ausstellung, weil er sich mit umstrittenen Themen wie Rassismus in der gegenwärtigen britischen Gesellschaft und Wiedergutmachungszahlungen auseinandersetzt. Eine Figur in einem offensichtlich getragenen Ku-Klux-Klan-Outfit ist dazu verdammt, für die Existenzzeit der Ausstellung auf eine Wand zu starren, auf der die Befreiung Afrikas aus dem Kolonialjoch und die Emanzipation der Afroamerikaner dargestellt wird. Aber dem Ausstellungsansatz entsprechend wird vor allem Wert auf die kulturellen Leistungen gelegt, mit denen die afrikanische Diaspora die westliche Kultur verändert hat. Geschichten von Diaspora-Mitgliedern werden erzählt, von ihren Erfolgen und ihrer Suche nach den Wurzeln.

Lateinamerika kommt dabei, wie in der gesamten Ausstellung, zu kurz, während dann merkwürdiger Weise wieder afrikanische Ex-Kolonien Großbritanniens ins Spiel kommen, die nicht direkt vom transatlantischen Sklavenhandel betroffen waren. Da hat man sich, wie auch an anderen Stellen der Ausstellung, in der Komplexität des Themas etwas den Faden verloren.

Überhaupt gibt es im Museum einige gut gemeinte Ansätze, die nur bedingt gelungen sind. So betont Benjamin ein ums andere Mal, wie wichtig die innovative technische Präsentation des neuen Museums sei. Das Publikum hätte seine Erwartungshaltung in den letzten Jahren sehr verändert. Tatsächlich blinkt und spricht und mäandert es an allen Ecken und Enden – trotzdem wirkt die Präsentation insgesamt zwar aufwendig, aber eher konventionell. Die liebevoll gebastelten kleinen Modelle einer Plantage und eines Sklavenschiffs könnte man fast putzig nennen, wäre das Thema nicht so Ernst. Dafür kann man sich schnell überfordert fühlen, wenn man von allen Seiten zugequatscht wird und zudem noch diesen oder jenen Sound aufs Ohr bekommt und sich dabei auf nichts speziell konzentrieren kann. Selbst in dem von einem Voodoo-Priester eingerichteten Gedenkaltar für die Vorfahren, der einen Ort des Innehaltens anbieten soll, findet man keine Ruhe. Da sind die verschiedenen Stationen hilfreich, in denen man sich kurze Filme zu Teilaspekten wie Entwicklung bestimmter aktueller Musikstille aus afrikanischen Wurzeln anschauen kann – und der Ton kommt über Kopfhörer. Im Zweifelsfall kann man auch mal die Pausentaste drücken.


Auch dass das Museum sehr stark auf Pädagogik und die Arbeit mit Kindern zugeschnitten ist kann nerven, wenn man älter als zwölf und mit einem zumindest durchschnittlichen IQ gesegnet ist. Allerdings darf man nicht vergessen, wie wichtig gerade dieser Aspekt ist : Bis heute ist der transatlantische Sklavenhandel kein verpflichtender Teil des Unterrichtsstoffes an britischen Schulen. Viele schwarze Briten erfuhren im Zusammenhang mit dem Jahrestag zum ersten mal Details aus ihrer eigenen Vergangenheit. „Spätestens nächstes Jahr soll das im ganzen Land fest im Lehrplan stehen,“ hofft Benjamin. Das Museum bietet eine Lernstation und Anleitung durch geschultes Personal, um Kindern und Jugendlichen das Thema nahezubringen. In Phase II des Museumsbaus soll 2010 ein neues Gebäude fertig gestellt werden. Hier wird neben einer weiteren Ausstellung zu modernen Formen der Sklaverei auch ein separates Forschungs- und Bildungszentrum entstehen.


Sehr kritisch anzumerken ist zum Schluss, dass eine Ausstellung zur schwarzen Geschichte, wie sie gegenwärtig zu sehen ist, offenbar zum Großteil von weißen Wissenschaftlern konzipiert wurde – und es auch niemandem aufzufallen scheint. Denn hier spielt die Hautfarbe eine Rolle. Schwarze Briten haben nicht nur ihre eigene Perspektive auf Rassismus heute, den sie am eigenen Leib erleben, sondern auch ihre Familiengeschichten, die untrennbar mit der Sklaverei verbunden sind. Benjamin, der in Yorkshire aufwuchs und dessen Vater in den 50er Jahren aus Guayana einwanderte, wurde erst im November letzten Jahres an Bord geholt, eine schwarze Arbeitsgruppe gar erst vor Kurzem eingerichtet. Laut Benjamin besteht zwar ein enger Kontakt zur Schwarzen Gemeinde in Liverpool, die regelmäßig über die Entwicklung im Museum informiert und um ihre Meinung gebeten würde. Aber kein Wort davon, dass sie in erster Linie um Anregungen und Ideen gefragt wurde, oder dass ihren Mitgliedern eine zentrale und auch vernünftig bezahlte Rolle in der Gestaltung zugestanden worden wäre.


„Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht,“ betont Benjamin. „Wir sind immer offen, Sachen hinzuzufügen und zu verändern. Wichtig ist, dass wir Diskussionen anregen. Wir wollen die Leute in ihrem vorgefertigten Denken herausfordern. Wir sind kein neutrales Museum.“

International Slavery Museum, Albert Dock, Liverpool, Großbritannien
Öffnungszeiten täglich von 10 bis 17 Uhr


Audio:
Interview mit Richard Benjamin, Direktor des International Slavery Museums hören.

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